10. Januar 2023
DAS MINSK in Potsdam - Photo © matthes.photographie
Verliebt in die Kunst ist dieses Land der Dichter und Denker nun wahrlich nicht, und da ist es schon etwas Besonderes, wenn ein Museum für moderne Kunst neu geschaffen, eröffnet und dauerhaft betrieben wird. Im Falle des ‚MINSK‘ in Potsdam steht hinter dem Gebäude, der Sammlung und dem Betrieb die Hasso Plattner Foundation. Jahrelang schlief das ehemalige Terrassencafé den gern zitierten Dornröschenschlaf bis mit der Fertigstellung der Sanierung und des Umbaus in der Brandenburger Landeshauptstadt im September 2022 ‚DAS MINSK‘ Kunsthaus in Potsdam eröffnete.
Gleich vorweg, ich persönlich finde das Haus sehr gelungen: der großzügig gestaltete Vorplatz, ein öffentlich zugängliches Café mit weitem Blick über Potsdams Dächer und flexiblen Ausstellungsräumen im EG und im 1. Obergeschoss. Hinter dem Empfang gelangt man zu den Garderoben im Kellergeschoss. Die Innenarchitektur des Hauses ist modern und klar, übersichtlich unverspielt und repräsentiert den Grundgedanken der Idee und des Konzeptes: Kunst, die in der DDR geschaffen wurde, tritt mit gegenwärtigen Positionen in den Dialog. Einblicke in das Haus finden sich auf der Website des MINSK »»»
Eine schöne Idee war es, den rumänischen Künstler Dan Perjovschi nicht nur den Rohbau mit Kunst ausstatten zu lassen, sondern auch die sichtbaren Säulen im Café und die Wände im Aufzug zu gestalten. UNDBEDINGT ANSEHEN.
Die Eröffnungsausstellung ‚Der Nachbar, der will fliegen‘ mit Malerei von Wolfgang Mattheuer (1927 - 2004) und Photographie von Stan Douglas (Jahrgang 1960).
Wolfgang Mattheuer, mir selbst bekannt aus den 1970er-Jahren aus dem Zeichenunterricht (so hieß damals das Schulfach, in dem wir etwas über Kunst und die eigenen Möglichkeiten der Gestaltung lernten), und irgendwie hatte sich in meinem Gedächtnis mit seinem Namen der Landschaftsmaler festgesetzt. Die Bedeutung der oft wenigen Menschen in seinen Bildern sah ich damals noch nicht. Das Bild ‚Der Nachbar,der will fliegen‘ gab dieser Bildauswahl den Titel und zeigt einige Mitmenschen wohl geordnet in ihren Kleingartenparzellen, sauber abgetrennt und verzäunt, keiner kann dieser ‚Idylle‘ entrinnen, es sei denn, man schnallt sich Ikarusflügel an und wagt den Flugversuch.
Im MINSK ging es nun um diese Landschaften, stille und (fast) leere Orte, Lauben umsäumt vom Gartengrün und Schrebergärten, die der Mensch gerade verlassen hat, die Leiter am Obstbaum noch angelegt, Wege in nächtlichem Nebel, getaucht in spärliches Laternenlicht, mystisch und schon fast bedrohlich.
Für mich selbst bin ich mir beim Betrachten von Bildern, die in meiner Kindheit und Jugend von Malern in der DDR geschaffen wurden, nie sicher, ob nicht auch Nostalgie ein Stück meiner Begeisterung und Zuwendung für diese Kunst ausmacht. Und selbst wenn es so wäre, hier sehe ich, was mich an der bildenden gegenständlichen Kunst berührt: meisterhaft gemalte Szenen des (ganz normalen?) Lebens.
Der Kanadier Stan Douglas war mir bis zu diesem Ausstellungsbesuch nicht bekannt und skeptisch erwartungsvoll betrat ich das Obergeschoss des MINSK, wo seine Serie ‚Potsdamer Schrebergärten‘ (1994/95) gezeigt wurde. Und da ist es wieder: das ganz normale (?) Leben.
Im vermeintlich einfachen Abbilden unseres Alltags, heute täglich milliardenfach ausgeübte Smartphonepraxis, liegt der Hund begraben, denn so einfach ist es dann doch nicht, um Photos zur Kunst werden zu lassen. Der einfache Bildbetrachter in mir jedenfalls war sofort fasziniert und gefangen von der Bildserie über die Kleingärten. Stan Douglas gelingt es dem Abbild eine 2. Ebene hinzuzufügen, die dem Anschauenden die Nachdenkluke öffnet. Ich sah nicht nur die herbstlich gefärbte märkische Landschaft, ich sah auch welche (schöne) Leere (siehe weiter oben Mattheuer) entsteht, entzieht man der Gegend die Menschen. Douglas öffnet den Blick auf die Errungenschaften menschlichen Wirkens auf dem Erdenrund: quadratisch oder rechteckig angelegte Laubenschachteln stehen da stumm in Reih und Glied zwischen dem Grün und Bunt, zwei einsame Lauben mit Überlandfernleitungsmast inmitten von Gegend, ein gemauerter Kasten mit toten Augen glotzt uns ungeniert an und über allem trügerische Friedlichkeit. Und zu meinem großen Amüsement, am Ende der Serie, die an den Obstbaum angelegte Leiter, um der Natur die Früchte besser abringen zu können.
Ob Stan Douglas das Bild von Wolfgang Mattheuer kannte? Er konnte es auf jeden Fall hier in Potsdam entdecken, diesen wunderbaren bildnerischen Zufall zweier völlig unterschiedlich arbeitender Künstler.
Matti M. Matthes // Januar 2023